Reisebericht Israel April 2016

 

Eine Woche lang waren Rahel, Ingo und Lucia von Desert Rose e.V. in Tel Aviv unterwegs, um sich mit Betroffenen vom Sinai Menschenhandel auszutauschen und unsere Partnerorganisationen vor Ort zu besuchen.

Die Begegnungen mit den Menschen haben uns die schwierigen Lebenssituationen der Folterüberlebenden wieder einmal drastisch vor Augen geführt, die Opfer von extremen Menschenrechtsverletzungen wurden und heute meist ohne Rechtsstatus und ohne staatliche Unterstützung in Israel leben.

Begegnungen mit Überlebenden

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Wir trafen Menschen, die uns ihre Geschichten erzählten – von ihrer Flucht aus Ostafrika, von der Folter auf dem Sinai, von alltäglichen Überlebenskämpfen in Tel Aviv. Die Geschichten sind so erschreckend, so voller Gewalt und Grausamkeit, dass sie unsere Vorstellungskraft häufig übersteigen. Unwirklich und bizarr wirkt es, darüber unter der milden Tel Aviver Frühlingssonne zu sprechen, die uns in der Stadt entgegen weht. Die Begegnungen mit den Menschen berühren uns aber auch, weil sie die Stärke der Überlebenden deutlich machen. Ihren Lebenswillen, den viele selbst nach den unvorstellbaren Grausamkeiten auf dem Sinai nicht verloren haben. Ihren Mut, trotz der Brutalität des Lebens weiter zu machen.

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Einige der Überlebensgeschichten wollen wir demnächst auf der Homepage von Desert Rose veröffentlichen. Außerdem soll unsere Internetseite den Betroffenen eine Plattform bieten, um hier eigene Projekte und Initiativen vorzustellen. Denn wir trafen nicht nur Überlebenskünstler, sondern auch Schauspieler, Poeten, Sänger und Seelsorger, die in ihrem Alltag wunderbare Dinge erschaffen.

Austausch mit Partnerorganisationen

Durch den Besuch unserer Partnerorganisationen Assaf und Kuchinate, die zu den wenigen Organisationen zählen, die Sinai-Überlebende in Israel unterstützen, konnten wir einen persönlichen Einblick in deren Arbeit erhalten. Auch nutzen wir die Gelegenheit, um gemeinsam über konkrete Projekte zu sprechen, die wir in Zukunft mit den Partnerorganisationen umsetzen wollen, um den Menschen direkt zu helfen.

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In der Häkelwerkstatt Kuchinate, die über vierzig asylsuchenden Frauen einen geschützten Raum bietet, wurden wir sofort von der freundlichen und warmen Atmosphäre des Ortes eingehüllt. Zwischen Stoffschnipseln, Scheren und farbprächtigen Körben sprachen wir mit den energetischen Leiterinnen des Projektes, Sister Aziza und Diddy Mymin Kahn, über die schwierigen Schicksale der hier arbeitenden Frauen und über finanzielle Nöte des kleinen Geschäftes, das nach wie vor ums Überleben kämpft. Wir hoffen, hier bald durch eine Kampagne zum Fortbestehen des Vorzeigeprojekts beitragen zu können.

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Auch bei unserer Partnerorganisation ASSAF, die soziotherapeutische Betreuung für Geflüchtete anbietet, trafen wir MitarbeiterInnen die all ihre Kraft in die Unterstützung von Sinai-Überlebenden stecken. Obwohl durch Einzel- und Gruppentherapien schon große Erfolge für die Bewältigung schwerer Traumata von Frauen und Männern erzielt wurden, können manche Angebote aufgrund finanzieller Knappheit nicht weitergeführt werden – auch hier wollen wir zukünftig durch konkrete Projekte einen Beitrag leisten.

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Zu wenig Zeit für zu viel Not

Insgesamt war unsere Zeit in Israel zu knapp und die Nöte viel zu tiefgreifend, um große Veränderungen herbeizuführen. Was es in der Tiefe braucht, sind politische Veränderung: die rechtliche Anerkennung der Sinai-Überlebenden, ein sicherer Lebensraum – ob in Israel oder anderswo – der die Heilung ihrer seelischen Wunden ermöglicht. Außerdem finanzielle, kostenlose medizinische und psychologische Hilfe.

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Trotzdem sind die kleinen Begegnungen von Mensch zu Mensch wichtig, weil sie den Sinai-Überlebenden zeigen, dass sie in der Welt nicht unsichtbar sind. Dass es immer noch Menschen gibt, die die Schrecken, die sie erleiden mussten, nicht einfach vergessen. Weiter für ihre Rechte kämpfen. Und auch für uns war der Besuch wichtig, um uns wieder einmal wachzurütteln, um uns für eine Woche aus dem Alltagstrott in Deutschland herauszuziehen und uns vor Augen zu führen, wofür wir arbeiten: für die Bewältigung einer der am wenigsten bekannten humanitären Krisen der Welt.

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Besonders bedrückend: ein Besuch im Internierungslager Holot, das mitten in der Negev Wüste liegt. Über Monate, manchmal Jahre werden Asylsuchende Männer hier eingewiesen. Zwar können sie die Anlage tagsüber verlassen, jedoch wohin gehen in der Wüste, weit weg von jeglicher Zivilisation und umgeben vom berüchtigten Saharonim-Gefängnis und Militäranlagen? Aufgrund der schwierigen Lebensbedingungen sind viele der Holot-Insassen Traumata ausgesetzt; psychologische Hilfe können sie nicht erwarten. Die Wärter von Holot sind Gefängniswärter, die normalerweise im Saharonim-Gefängnis Schwerstverbrecher und Kriminelle betreuen.  Tagsüber laufen einige der Holot-Insassen ein paar Runden unter der Wüstensonne um die Anlage herum, aus purer Verzweiflung, um so den vielen Gedanken, die sie verfolgen, kurzzeitig zu entfliehen. Die menschenverachtenden Bedingungen im Internierungslager sollen dazu dienen, dass die Geflüchteten „freiwillig“ das Land verlassen. Eine Gruppe von AktivistInnen in Israel organisiert regelmäßig Touren nach Holot. Sie wollen den Internierten damit zeigen, dass sie nicht vergessen sind. Dass da draußen jemand ist, der für sie nach Auswegen sucht, danach wie sie ihren Alltag gestalten können, ohne dafür bestraft zu werden.

Zu sehen, wie Menschen,  die nichts getan haben außer vor Gewalt und Verfolgung in ihrem Heimatland zu fliehen, in Holot jede Lebensperspektive genommen wird, ist schwer zu ertragen. Es ist ein sehr trostloses Dahinvegetieren. Und obwohl die israelische Regierung immer wieder betont, dass Folteropfer aus dem Sinai nicht in Holot aufgenommen werden, konnten wir uns vom Gegenteil überzeugen. Ein älterer Mann zeigte uns schwere Narben an seinem Bein, die durch Verbrennungen und heißes Plastik verursacht wurden. Der Grund liegt darin, dass nur wenige Flüchtlinge als Folteropfer in Israel anerkannt sind und somit jeder in dem Internierungslager mitten im Nirgendwo landen kann.

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1 Comment
  • Angler-Seel |

    Seit einem Jahr betreue ich einen jungen Asylbewerber, der dem Horror einer Geiselnahme auf dem Sinai nach 1 Jahr grausamster Folter entkommen und im Anschluss einer 3-jährigen Internierung in Holot ausgesetzt war. Nach kurzem Aufenthalt in Eritrea flüchtete er vor der neuerlichen Befrohung durch Verpflichtung in den Nationaldienst in den Sudan . Auf dem Weg nach Europa wurde er in Libyen abermals gefangengenommen , nur durch die Zahlung eines Lösegeldes von 1000,-$ kam er frei. Er überlebte den Trip über das Mittelmeer, und gelangte endlich von Italien nach Deutschland. Die Auswirkungen von mehr als 4 Jahren Gewalt und Todesangst sind manchmal für mich fast nicht auszuhalten. Gott sei Dank hat eine lokale psychologische Hilfsorganisation ihn als Patienten angenommen. Noch warten wir auf die Entscheidung des BAMF….Ich freue mich über jeden Tag, den dieser junge Mann in der Freiheit unseres Landes verbringen kann und hoffe inständigst, dass Deutschland ihm jeden nur erdenklichen Schutz gewährt.